Beitrag zu RUP von Karl Wiegers (www.processimpact.com), mit Erlaubnis des Software Development Magazine.
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Einführung
Diese Richtlinie beschreibt eine Technik, mit der man den Aufwand für Softwareentwicklung schätzen kann. Die
Wideband-Delphi-Schätzmethode kann wie folgt zusammengefasst werden:
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Ein Team von Fachleuten auswählen und jedem Teammitglied eine Beschreibung des zu schätzenden Problems geben.
-
Alle Fachleute auffordern, ihre Schätzung des Aufwands zu erstellen (oft geschieht dies anonym). Der Aufwand soll
in eine Liste einzelner Aufgaben aufgeschlüsselt werden, für die wiederum der Aufwand ermittelt werden soll.
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Dann setzen sich die Fachleute zusammen und überprüfen ihre Schätzungen iterativ, bis ein Konsens erzielt wurde.
Die Wideband-Delphi-Methode bietet verschiedene Vorteile gegenüber der Schätzung durch eine Einzelperson. Erstens hilft
sie, eine vollständige Aufgabenliste bzw. Aufschlüsselung für die wichtigen Aufgaben zu erstellen, weil jeder
Teilnehmer der Schätzung an Aufgaben denkt. Der Konsensansatz hilft, Voreingenommenheiten selbst ernannter Fachleute,
unerfahrener Schätzer oder einflussreicher Einzelpersonen mit verdeckten Absichten oder auseinander gehenden Zielen zu
vermeiden. Menschen engagieren sich normalerweise mehr für Schätzungen, an deren Erstellung sie selbst beteiligt sind,
als für die Schätzungen anderer. Kein Teilnehmer an einer Schätzung kennt die einzig richtige Antwort, und die
Erstellung mehrerer Schätzungen trägt dieser Unsicherheit Rechnung. Die Benutzer der Delphi-Methode wissen um den
Nutzen der Iteration für alle komplexen Aufgaben.
Wideband-Delphi-Verfahren anwenden
Mit dem Wideband-Delphi-Verfahren kann man praktisch alles schätzen: wie viele Monate an der Implementierung eines
bestimmten Subsystems gearbeitet werden muss, wie viele Codezeilen oder Klasse in einem Gesamtprodukt verwendet werden,
wie viele Liter zum Streichen eines Hauses nötig sind, welchen Aufwand eine Organisation betreiben muss, um Stufe 2 des
Capability Maturity Model zu erreichen.
Die Delphi-Methode hilft Ihnen, einen Projektstrukturplan zu entwickeln, der die Grundlage für das Bottom-up-Verfahren
und eine Schätzung des Zeitaufwands oder Umfangs bildet. Der Ausgangspunkt für eine Delphi-Sitzung kann ein
Visionsdokument, eine detaillierte Anforderungsspezifikation des zu schätzenden Problems, eine erste
Architekturbeschreibung auf hoher Ebene oder ein Projektzeitplan sein. Die Ausgabe der Sitzung ist: eine detailliertere
Liste mit Projektaufgaben, eine Liste der zugeordneten Aufgaben zur Qualitätssicherung, der prozessbezogenen Aufgaben
sowie der nicht projektspezifischen Aufgaben, Annahmen für die Schätzungen sowie eine von jedem Teilnehmer zu
erstellende Liste mit Aufgaben und Schätzungen das Gesamtprojekt betreffend.
Abbildung 1 veranschaulicht den Prozessablauf für eine Wideband-Delphi-Sitzung. Das zu schätzende Problem wird
definiert, und während der Planung werden die Teilnehmer ausgewählt. Bei der ersten Besprechung werden alle Schätzer
mit dem Problem vertraut gemacht. Alle Teilnehmer bereiten dann einzeln ihre ersten Aufgabenlisten und Schätzungen vor.
Sie bringen diese in die nächste Besprechung ein, bei der in mehreren Zyklen eine umfassendere Aufgabenliste erstellt
und die Schätzungen überarbeitet werden. Der Moderator oder Projektleiter konsolidiert dann die gemischten Schätzdaten
offline, und das Team überprüft die Schätzergebnisse. Wenn einige vorab definierte Bedingungen erfüllt sind, wird die
Sitzung beendet. Die sich ergebende Spannbreite der Schätzungen liefert sehr wahrscheinlich eine realistischere
Voraussage als eine einzelne Schätzung. Diese Schritte werden nacheinander beschrieben.
Bei der Planung einer Wideband-Delphi-Sitzung wird das Problem definiert, und die Teilnehmer werden ausgewählt. Bei
der ersten Besprechung werden alle Schätzer mit dem Problem vertraut gemacht. Alle Teilnehmer bereiten dann einzeln
ihre ersten Aufgabenlisten und Schätzungen vor. Sie bringen diese in die nächste Besprechung ein, bei der in mehreren
Zyklen eine umfassendere Aufgabenliste erstellt wird und die Schätzungen überarbeitet werden. Die Daten werden dann
offline konsolidiert, und das Team überprüft die Schätzergebnisse. Wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, wird die
Sitzung beendet.
Planung
Eine Wideband-Delphi-Sitzung beginnt damit, dass man das Problem und seinen Umfang definiert: Vision,
Anwendungsfallmodell, vorhandenes System, vorläufige Architektur. Große Probleme werden in kleinere Abschnitte
aufgeteilt, die genauer, möglicherweise von verschiedenen Teams, geschätzt werden können. Die Person, die die Schätzung
eingeleitet hat, erstellt eine Spezifikation des Problems, die den Teilnehmern genug Informationen an die Hand gibt,
dass sie glaubwürdige, solide Schätzungen erstellen können.
An der Schätzung nehmen folgende Personen teil: ein Moderator, der die Aufgabe plant und koordiniert, der Projektleiter
und noch zwei bis vier Schätzer. Der Moderator muss so gut informiert sein, dass er einerseits an der Schätzung
teilnehmen, andererseits aber auch als unparteiischer Leiter agieren kann, der die Ergebnisse nicht aufgrund eigener
Voreingenommenheit oder Fachkenntnis verzerrt. Die Teilnehmer werden aufgrund ihrer Kenntnis des Problems bzw. Projekts
und der entsprechenden Probleme der Schätzung ausgewählt.
Erste Besprechung
In einer ersten Besprechung, die höchstens eine Stunde dauern sollte, werden alle Teilnehmer mit der Aufgabe vertraut
gemacht. Der Moderator erläutert das Wideband-Delphi-Verfahren allen Teammitgliedern, die es noch nicht kennen. Er
nennt die Spezifikation des Problems und gibt alle Annahmen bzw. projektbezogenen Einschränkungen vor. Der Moderator
bemüht sich, den Schätzern genug Informationen zu geben, dass sie ihre Aufgabe erfüllen können, ohne sie jedoch in
ihrer Meinung zu beeinflussen.
Das Team überprüft die Ziele der Schätzung und diskutiert sowohl das Problem als solches als auch alle mit der
Schätzung zusammenhängenden Fragen. Die Teilnehmer einigen sich auf die zu verwendenden Schätzeinheiten, z. B. Wochen,
Arbeitsstunden, Dollar, Codezeilen. Der Moderator zieht den Schluss, dass alle Teammitglieder ausreichend informiert
sind, um an der Schätzung teilzunehmen, und die Gruppe ist bereit, mit der Aufgabe zu beginnen. Ist dies nicht der
Fall, müssen die Teilnehmer ausführlicher über das Problem, zu dem sie die Schätzung vornehmen sollen, informiert oder
durch andere Teilnehmer, die in der Lage sind, genauere Schätzungen vorzunehmen, ersetzt werden.
Wenn Sie feststellen möchten, ob Sie mit der Wideband-Delphi-Sitzung fortfahren können, müssen Sie Ihre
Eingangskriterien überprüfen. Die Eingangskriterien sind die Anforderungen, die Sie erfüllen müssen, um mit den
nachfolgenden Schritten des Prozesses fortzufahren. Vergewissern Sie sich, bevor Sie sich in die Details vertiefen,
dass folgende Bedingungen erfüllt sind:
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Es wurden passende Teammitglieder ausgewählt.
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Die erste Besprechung wurde abgehalten.
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Die Teilnehmer haben hinsichtlich des Ziels und der Einheiten der Schätzung Übereinstimmung erzielt.
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Der Projektleiter kann an der Sitzung teilnehmen.
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Die Schätzer haben alle Daten, die sie für eine effektive Teilnahme benötigen.
Individuelle Vorbereitung
Nehmen Sie an, Sie möchten den gesamten Arbeitsaufwand (normalerweise wird dieser in Arbeitsstunden angegeben), den Sie
benötigen, um ein bestimmtes Projekt auszuführen, schätzen. Der Prozess der Schätzung beginnt damit, dass jeder
Teilnehmer für sich eine erste Liste mit Aufgaben erstellt, die seiner Meinung nach ausgeführt werden müssen, um das
definierte Projektziel zu erreichen. Dazu muss er das in Abbildung 2 dargestellte Formular verwenden. Jeder Teilnehmer
schätzt dann den Aufwand für die einzelnen Aufgaben. Unterteilen Sie jede Aufgabe in Einzelaufgaben, die klein genug
sind, um eine genaue Schätzung vorzunehmen. Definieren Sie die Aufgaben klar, denn die Aufgabenlisten aller Teilnehmer
werden zu einer einzigen Liste zusammengeführt. Formulieren Sie den geschätzten Aufwand für jede einzelne
Projektaufgabe in den vereinbarten Einheiten, um eine erste Schätzung des Gesamtaufwandes vorzunehmen.
Der Prozess der Schätzung beginnt damit, dass jeder Teilnehmer für sich eine erste Liste mit Aufgaben erstellt, die
seiner Meinung nach ausgeführt werden müssen, um das definierte Projektziel zu erreichen.
Ihre Schätzung sollte nicht von den Meinungen des Projektleiters oder anderer Stakeholder beeinflusst werden. Es ist
nicht unwahrscheinlich, dass die Schätzung die akzeptablen Projektgrenzen hinsichtlich Zeit, Aufwand oder Kosten
überschreitet. In einer solchen Situation muss verhandelt werden, was eine Reduzierung des Projektumfangs, eine
Erweiterung des Zeitplans oder Anpassungen der Ressourcen zur Folge haben kann. Lassen Sie sich durch Druck von außen
aber nicht in Ihrer fundierten Einschätzung des Projektverlaufs beeinflussen.
Zeichnen Sie neben den Projektaufgaben alle Aufgaben für zugehörige oder unterstützende Aufgaben auf. Vergessen Sie
nicht, Aufgaben, die sich auf das Management und Konfigurationsmanagement beziehen, sowie prozessbezogene Aufgaben im
ersten Zyklus aufzulisten. Achten Sie darauf, nach Test- oder Untersuchungsaufgaben Aufgaben für die Nacharbeitung zu
formulieren. Nacharbeitung zur Behebung von Fehlern ist ein normaler Vorgang, also sollten Sie das in der Planung
berücksichtigen. Bei der Schätzung eines Zeitplans sollten Sie auch nicht projektspezifische Aufgaben, die eventuell in
die Planung aufgenommen werden müssen, nicht vergessen. Dies sind z. B. Besprechungen, Urlaub, Fortbildung, weitere
Projekte sowie viele andere Dinge, die Zeit in Anspruch nehmen.
Da grundsätzliche Änderungen der Annahmen dazu führen können, dass Schätzungen sich stark verändern, sollten Sie alle
Annahmen, die Sie bei der Vorbereitung der Schätzungen vornehmen, aufzeichnen. Wenn Sie z. B. angenommen haben, dass
eine spezifische Komponentenbibliothek gekauft oder aus einem vorherigen Projekt übernommen wird, schreiben Sie das
auf. Ein anderer Schätzer kann annehmen, dass diese Bibliothek im Projekt entwickelt wird, was zu einer Diskrepanz
zwischen zwei Gesamtschätzungen führt.
Merken Sie sich die folgenden Richtlinien für die Schätzung:
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Nehmen Sie an, dass eine Person (Sie selbst) alle Aufgaben ausführt.
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Nehmen Sie an, dass alle Aufgaben nacheinander ausgeführt werden. Achten Sie jetzt nicht auf nachfolgende oder
vorangehende Aufgaben.
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Nehmen Sie an, dass Sie ohne Unterbrechungen an den einzelnen Aufgaben arbeiten können (das mag zu optimistisch
erscheinen, vereinfacht jedoch den Prozess der Schätzung).
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Listen Sie alle bekannten Wartezeiten auf, die Sie zwischen Aufgaben erwarten. Dies hilft Ihnen, Schätzungen später
in geschätzte Zeitaufwände umzusetzen.
Besprechung zur Schätzung
Der Moderator beginnt die Besprechung zur Schätzung, indem er die Schätzungen der einzelnen Teilnehmer sammelt und ein
Diagramm erstellt, wie in Abbildung 3 dargestellt. Der von den einzelnen Teilnehmern geschätzte Gesamtaufwand wird in
der Zeile "Runde 1" als X dargestellt. Jeder Schätzer kann sehen, wo im Spektrum sein Anfangswert angeordnet ist. Die
ersten Schätzungen werden wahrscheinlich einen sehr großen Bereich abdecken. Stellen Sie sich nur einmal vor, wie
anders Ihre Schlussfolgerungen ausgesehen hätten, hätten Sie nur einen der Teilnehmer beauftragt, eine Schätzung
vorzunehmen und danach das Projekt zu planen.
Der Moderator beginnt die Besprechung, indem der die Schätzungen der einzelnen Teilnehmer sammelt und in einem
Diagramm darstellt. Der von den einzelnen Teilnehmern geschätzte Gesamtaufwand wird in der Zeile "Runde 1" als X
dargestellt. Die ersten Schätzungen werden wahrscheinlich einen sehr großen Bereich abdecken.
In manchen Organisationen gilt Anonymität als wichtiger Aspekt des Delphi-Verfahrens, daher gibt der Moderator nicht
an, wer die einzelnen Schätzungen erstellt hat. Anonymität bewahrt den Einzelnen davor, von anderen Teilnehmern in
seiner Meinung beeinflusst zu werden. Das hat auch den Vorteil, dass Teammitglieder nicht der Versuchung erliegen, der
Beurteilung des angesehensten Teilnehmers der Gruppe zu folgen, wenn die eigenen Analysen zu anderen Schlussfolgerungen
führen. Anonymität ist jedoch kein Muss.
Jeder Schätzer liest seine erste Aufgabenliste vor, gibt alle Annahmen an, von denen er ausgegangen ist, und formuliert
alle Fragen und Probleme, die sich ergeben haben, ohne dabei anzugeben, wie seine Schätzung aussieht. Jeder Teilnehmer
wird andere auszuführende Aufgaben aufgelistet haben. Die Kombination dieser einzelnen Aufgabenlisten ergibt eine
vollständigere Liste als sie jeder einzelne Schätzer wohl hätte erstellen können. Dieser Ansatz funktioniert für
mehrere Dutzend Einzelaufgaben. Wenn Sie jedoch mehr Aufgaben haben, sind diese möglicherweise zu detailliert
formuliert. Sie können das Problem in verschiedene untergeordnete Probleme aufteilen und sie dann einzeln schätzen.
Bei dieser ersten Diskussion sprechen die Teammitglieder auch über ihre Annahmen, Probleme bei der Schätzung und
Fragen, die sie zur Problemstellung haben. Daraufhin werden die Teammitglieder, ausgehend von einer Gruppe gemeinsam
genutzter Annahmen und einer allgemeinen Aufgabenliste, beginnen, sich anzunähern. Präzisieren Sie diese letzte
Aufgabenliste, um sie beim nächsten Mal, wenn sie eine Schätzung für ein ähnliches Projekt vornehmen müssen, als
Ausgangspunkt zu verwenden.
Nach dieser ersten Diskussion ändern alle Teilnehmer gleichzeitig (und ohne sich auszutauschen) ihre Schätzungen im
Besprechungsraum. Sie können ihre Aufgabenlisten basierend auf den Daten, die während der Diskussion gewonnen wurden,
möglicherweise überarbeiten und Schätzungen, die sie für einzelne Aufgaben vorgenommen haben, basierend auf den neuen
Erkenntnissen, die Sie zum Umfang der Aufgabe oder zu geänderten Annahmen gewonnen haben, anpassen. Alle Schätzer
können neue Aufgaben zu ihren Formularen hinzufügen und Änderungen, die sie an ihren ersten Schätzungen der Aufgaben
vornehmen möchten, festhalten. Die Nettoänderung aller Aufgaben ist gleich der Änderung der Gesamtschätzung für das
Projekt.
Der Moderator sammelt die überarbeiteten Schätzungen und bringt sie in dasselbe Diagramm ein, in der Zeile "Runde 2".
Hier wurde aus Darstellungsgründen ein Whiteboard verwendet. Wie in Abbildung 4 zu sehen ist, führt die zweite Runde zu
einer enger gefassten Verteilung der Schätzungen, die sich um einen Durchschnitt bewegen, der höher ist als der für die
Werte aus Runde 1. Weitere Runden sollten die Verteilung weiter eingrenzen. Der Zyklus aus Überarbeitung der
Aufgabenliste, Diskussion der Fragen und Annahmen und Vorbereitung neuer Schätzungen setzt sich fort, bis folgende
Bedingungen erfüllt sind:
-
Sie haben vier Runden abgeschlossen.
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Die Schätzungen konnten auf einen akzeptablen Bereich (der zuvor definiert wurde) eingegrenzt werden.
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Die angesetzte Besprechungszeit (normalerweise 2 Stunden) wurde genutzt.
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Keiner der Teilnehmer will seine letzten Schätzungen nochmals ändern.
Nach der Diskussion der ersten Schätzungen ändern alle Teilnehmer ihre Schätzungen. Der Moderator sammelt die
überarbeiteten Schätzungen und bringt sie in dasselbe Diagramm ein, in der Zeile "Runde 2". Diese nachfolgenden Runden
können zu einer enger gefassten Verteilung der Schätzungen führen, die sich um einen Durchschnittswert bewegen, der
höher ist als der für die Werte aus Runde 1.
Der Moderator hält die Gruppe auf dem Laufenden, wobei er die Diskussionen auf 15 bis 20 Minuten begrenzt. Der
Moderator sollte die Besprechungen nach einfachen, effektiven Prinzipien abhalten: pünktlich anfangen und aufhören,
alle Teilnehmer zur aktiven Teilnahme ermutigen sowie dafür sorgen, dass unparteiisch diskutiert wird. Die Wahrung der
Anonymität ist in den ersten zwei Runden zwar wichtig, doch möglicherweise kommen die Teammitglieder dann überein, alle
Karten auf den Tisch zu legen und durch eine offene Diskussion zum Abschluss zu kommen. Das gibt ihnen die Möglichkeit,
Aufgaben, für die ihre Schätzungen stark auseinander gehen, zu diskutieren. Soll die Anonymität gewahrt bleiben, darf
der Moderator erst sagen, welcher Teilnehmer welche Gesamtschätzung erstellt hat, wenn die Sitzung abgeschlossen ist.
Aufgaben zusammenführen
Mit dem Abschluss der Besprechung ist die Arbeit nicht getan. Der Moderator oder der Projektleiter führt die
Projektaufgaben und deren individuelle Schätzungen in einer Master-Aufgabenliste zusammen. Diese Person führt auch die
einzelnen Listen mit Annahmen, Aufgaben zur Qualitätssicherung, prozessbezogenen Aufgaben, allgemeine Aufgaben und
Wartezeiten zusammen.
Der Prozess der Zusammenführung beinhaltet, dass doppelt vorhandene Aufgaben entfernt werden und eine vernünftige
Auflösung verschiedener Schätzungen für individuelle Aufgaben erreicht wird. "Vernünftig" bedeutet in diesem Kontext
nicht, dass die Schätzungen des Teams durch die vom Projektleiter bevorzugten Werte ersetzt werden. Große Unterschiede
in der Schätzung ähnlicher Aufgaben weisen darauf hin, dass Schätzer diese Aufgabe unterschiedlich interpretiert haben.
Beispiel: Zwei Teilnehmer haben beide eine Aufgabe "Eine Klasse implementieren". Der eine nimmt den Einheitentest und
die Codeüberprüfung in die Aufgabe auf, wohingegen der andere nur die Codeüberprüfung gemeint hat. Alle Schätzer müssen
ihre Aufgaben klar definieren, um Verwirrung bei der Zusammenführung zu vermeiden. Bei der Zusammenführung sollte der
Schätzbereich für jede Aufgabe beibehalten werden, wenn jedoch ein Teilnehmer eine Aufgabe vollkommen anders geschätzt
hat als die anderen Teilnehmer, sollte diese abweichende Schätzung geprüft und dann entfernt oder geändert werden.
Ergebnisse überprüfen
Im letzten Schritt überprüft das Team die Zusammenfassung der Ergebnisse und erreicht eine Übereinkunft über das
abschließende Ergebnis. Der Projektleiter gibt den anderen Schätzern die gesamte Aufgabenliste, einzelne Schätzungen,
kumulative Schätzungen, die Liste der Annahmen und andere Informationen. Dann wird das Team noch mal für eine 30- bis
60-minütige Besprechung zusammengebracht, um die Schätzung abzuschließen. Diese Besprechung bietet auch eine
Gelegenheit für das Team, die Ausführung des Wideband-Delphi-Prozesses zu überdenken und zu prüfen, wie er für
zukünftige Anwendungen verbessert werden kann.
Die Teilnehmer sollten sich vergewissern, dass die abschließende Aufgabenliste so vollständig wie möglich ist. Seit dem
letzten Treffen haben sie möglicherweise über weitere Aufgaben nachgedacht, die jetzt zur Liste hinzugefügt werden
können. Überprüfen Sie, ob Aufgaben, zu denen es stark voneinander abweichende Schätzungen gab, in angemessener Weise
zusammengeführt wurden. Das Schlussziel ist, für die Schätzung einen Schätzbereich zu erstellen, der dem Projektleiter
und anderen wichtigen Stakeholdern erlaubt, auf einer akzeptablen Sicherheitsbasis mit der Projektplanung und
-ausführung fortzufahren.
Schätzung abschließen
Der Schätzprozess ist abgeschlossen, wenn bestimmte Beendigungsbedingungen erfüllt sind. Typische
Beendigungsbedingungen im Wideband-Delphi-Verfahren sind folgende:
Die gesamte Aufgabenliste wurde zusammengestellt.
Sie haben eine Liste der Annahmen für die Schätzung erstellt.
Die Schätzer haben Konsens darüber erzielt, wie ihre einzelnen Schätzungen zusammengeführt werden können und dabei
einen akzeptablen Bereich abdecken.
Jetzt müssen Sie entscheiden, was Sie mit den Daten tun möchten. Sie können aus den abschließenden Schätzungen einfach
einen Durchschnitt nehmen, um einen Richtwert zu erstellen. Das ist wahrscheinlich genau das, was der Auftraggeber der
Schätzung hören möchte. Allerdings ist ein einfacher Durchschnittswert wahrscheinlich zu niedrig, und es lohnt sich,
den Schätzbereich beizubehalten. Schätzungen sind gewissermaßen Voraussagen und daher naturgemäß mit einer gewissen
Unsicherheit behaftet. Sie können drei Zahlen präsentieren: den Durchschnitt der Schätzungen als geplanten Fall, den
Mindestwert als besten Fall und den Höchstwert als schlimmsten Fall. Oder Sie können den Durchschnittswert als
Gleichung präsentieren: erwartetes Nominalergebnis plus Wert aus Höchstwert minus Durchschnittswert, minus Wert aus
Durchschnittswert minus Mindestwert.
Jede Schätzung hat eine gewisse Chance, Realität zu werden. Eine Gruppe von Schätzungen bedeutet daher eine
Wahrscheinlichkeitsverteilung. In Kapitel 6 der Veröffentlichung "A Discipline for Software Engineering",
Addison-Wesley, 1995, beschreibt Watts Humphrey eine mathematisch präzise Methode, mehrere Schätzungen und deren
Unsicherheitsfaktoren zu kombinieren, um eine Gesamtschätzung mit Ober- und Untergrenze zu erstellen. Ein anderer hoch
entwickelter Ansatz besteht darin, eine Monte-Carlo-Simulation auszuführen, um eine Wahrscheinlichkeitsverteilung
bezüglich möglicher Schätzergebnisse basierend auf den Werten der abschließenden Schätzungen zu erstellen.
Die Ergebnisse einer Delphi-Sitzung sind zwar vielleicht nicht das, was die Auftraggeber erwartet haben, bieten ihnen
aber die Möglichkeit, zu entscheiden, ob sie ihr Projekt mit einer 10-prozentigen oder einer 90-prozentigen
Sicherheitsstufe planen möchten oder ob sie einen Mittelwert bevorzugen. Sie sollten die tatsächlichen
Projektergebnisse mit Ihren Schätzungen vergleichen, um Ihre Schätzgenauigkeit für zukünftige Aufgaben zu verbessern.
Wiederholung des Vorgangs (Iteration)
Ein positiver Aspekt dieser Methode ist, dass nach einer ersten und recht schwierigen Schätzung, die z. B. bei während
der Konzeption vorgenommen werden kann, die Schätzungen in jeder Phase (oder sogar jeder Iteration) präzisiert werden
können. Der Prozess beschleunigt sich, wenn dieselben Fachleute verfügbar sind und dort fortfahren, wo sie im
vorherigen Zyklus aufgehört hatten. Es sind dann mehr Informationen zum Problem verfügbar, einige Annahmen wurden
geändert, und eine Architektur zur Unterteilung des Aufwandes ist vorhanden.
Die neue Schätzung kann engere Grenzen haben, bewegt sich jedoch nicht notwendigerweise innerhalb der Grenzen der
ersten Schätzung: Sie kann kann diese über- oder unterschreiten. Überschreitet sie die erste Schätzung, ist das ein
klares Signal an den Projektleiter, das ein Risiko sofort untersucht werden muss.
Bewertung des Wideband-Delphi-Verfahrens
Keine Schätzmethode ist perfekt und bietet vollkommene Sicherheit. Das Wideband-Delphi-Verfahren beinhaltet jedoch
einige zuverlässige Prinzipien der Schätzung. Der Teamansatz basiert auf der Annahme, dass die Kombination
verschiedener Perspektiven von Fachleuten Nutzen bringt. Das Spektrum der vorgenommenen Schätzungen zeigt deutlich, wie
variabel der Schätzprozess ist.
Das Wideband-Delphi-Verfahren ist zeitintensiv und erfordert erfahrene Schätzer, sie ermöglicht jedoch eine streng
sachliche Vorgehensweise, bei der ganz grundsätzliche Werte erarbeitet werden können.
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