Dieser Abschnitt befasst sich genauer mit der Sicht des Qualitätskonzepts "Gut genug", das Qualität als dynamischen
Kompromiss begreift. Das Konzept lässt sich etwa wie folgt beschreiben: Die Qualität eines Produkts liegt irgendwo
zwischen "schlecht" und "ideal". Die schlechte Qualität ist wesentlich billiger zu produzieren als die ideale Qualität
und weniger nützlich. Ein Produkt ist gut genug, wenn es genug Nutzen bringt, ohne zu viel zu kosten. Die Definition
von "Gut genug" ändert sich im Laufe des Projekts, je nach Geschäftsbedingungen und anderen Faktoren. Kosten sind
in diesem Fall Geld oder ein Äquivalent zu Geld, z. B. Zeit, Material oder Personal. "Nutzen" ist hier im Sinne einer
Bewertung durch eine maßgebende Person zu verstehen. Was eine Person als ausreichend nützlich bewertet, ist
möglicherweise einer anderen Person nicht gut genug, also beginnt die Qualitätsanalyse immer damit, dass man die
Personen bestimmt, die diese Entscheidung zu treffen haben.
Im allgemeinen Sinne ist der Kompromiss "Gut genug" ein alte Idee. Es ist ein bekanntes Konzept in Wirtschaft und
Technik und daher ein zentraler Gedanke jedes Unternehmens, das sich mit Entwicklung befasst. Das Neue an diesem
Kompromissgedanken ist, dass es praktisch keine Möglichkeit gibt, ein Produkt freizugeben, das keine Probleme hätte.
Das Produkt wird immer Probleme haben, bekannte oder unbekannte. Wenn man jedoch an diesen Problemen arbeitet, hat man
möglicherweise Einfluss darauf, welcher Art die Probleme sind, die in dem freigegebenen Produkt auftreten können. Es
ist besser, das Produkt mit "richtigen" Fehlern als mit den "falschen" Fehlern freizugeben. 1996 erstellte James Bach
ein kompromissorientiertes heuristisches Modell, das auf seinen Erfahrungen bei Borland International und Apple
Computer basierte. Bach entwickelte das Modell so, dass es eine Reihe von Kommunikationspunkten beinhaltete, an denen
nachgewiesen werden konnte, dass ein Produkt nicht gut genug war. Ursprünglich wurde das Modell als
Argumentationsgrundlage verwendet, um das Management davon zu überzeugen, inkrementellen Verbesserungen von Produkten
vor der Freigabe zuzustimmen. Das Modell erwies sich jedoch auch als nützlich für die Begründung von
Prozessverbesserungen und wurde in Gerichtsverfahren verwendet, um das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von
Softwarequalität zu beweisen.
Ein Manager oder eine Führungskraft wird unter Termindruck etwa so argumentieren: "Perfektion wäre schön, aber wir
müssen praktisch sein. Wir sind Geschäftsleute. Qualität ist gut, aber nicht um jeden Preis. Es ist bekannt,
dass jede Software Programmfehler hat." Ein Befürworter des Qualitätskonzepts "Gut genug" würde zustimmen, dass eine
praktische Denkweise unerlässlich fürs Geschäft ist und dass das Produkt immer, d. h. unabhängig vom Datum der
Freigabe, Probleme haben wird. Aber er würde den Manager gegebenenfalls darauf hinweisen, dass er noch nicht davon
ausgehen könne, dass das Produkt einen Punkt erreicht hat, an dem es freigegeben werden kann. Die Argumentation
einer Führungskraft basiert darauf, anzuerkennen, dass bestimmte Risiken bestehen oder bestimmte Vorzüge fehlen. Sie
kann auch darauf abzielen, dass noch nicht genügend Informationen verfügbar sind, um eine verantwortliche Entscheidung
über die Qualität treffen zu können. Die Führungskraft verweist auf lösbare (obwohl nicht notwendigerweise messbare)
Probleme, die wirtschaftliche sowie Qualitätsfaktoren umfassen.
Niedrige Qualität kann gut genug sein. Hohe Qualität ist möglicherweise nicht gut genug. Im Rahmen
der dynamischen Sicht ist jedes Produkt gut genug, das die folgenden vier Kriterien erfüllt:
-
Es hat genügend Vorzüge.
-
Es hat keine kritischen Probleme.
-
Die Vorteile überwiegen die Nachteile.
-
In der gegenwärtigen Situation und unter Berücksichtigung aller Aspekte wäre eine weitere Verbesserung eher
schädlich als hilfreich.
Jeder Punkt ist kritisch. Wenn eine dieser Anforderungen nicht erfüllt ist, kann das Produkt, obwohl es vielleicht gut
ist, nicht gut genug sein. Die ersten beiden Punkte sind recht offensichtlich, beachten Sie jedoch, dass sie nicht
genau gegensätzlich sind. Die völlige Abwesenheit von Problemen kann nicht ungeheure Vorteile garantieren, ebenso wie
grenzenlose Vorteile nicht die Abwesenheit von Problemen garantieren können. Vorteile und Probleme gleichen einander
aus, es ist jedoch wichtig, das Produkt aus beiden Perspektiven zu betrachten.
Das dritte Kriterium erinnert daran, dass Vorzüge Probleme nicht vollständig, sondern lediglich in ausreichendem Maße,
überwiegen müssen. Beispielsweise wünscht man bei einem medizinischen Gerät einen großen Sicherheitsspielraum. Dieses
Kriterium erinnert daran, dass auch bei Nichtvorhandensein eines individuellen kritischen Problems möglicherweise
Muster nicht kritischer Probleme vorhanden sein können, die die Vorzüge des Produkts völlig zunichte machen.
Das vierte Kriterium hebt die Wichtigkeit der Logistik und der Nebenwirkungen hervor. Wenn hohe Qualität zu teuer ist,
um realisiert zu werden, oder wenn die Realisierung andere unakzeptable Probleme schüfe, dann muss entweder die
niedrigere Qualität als gut genug akzeptiert oder der Umstand anerkannt werden, dass ein Produkt, das gut genug ist,
nicht realisiert werden kann.
Diese Kriterien bilden die Basis für die Annahme, dass ein Produkt gut bzw. nicht gut genug ist, aber immer verbessert
werden kann.
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